Raubt Schule die Freude am Englisch lernen?

Veras Corner ist ja mein Sammelpunkt für alles Mögliche, das mit Sprachenlernen zu tun hat. Im neuesten Beitrag gebe ich meine Eindrücke vom Sprachen lernen in der Schule wieder.

Den Beitrag findet ihr in der Sammlung “Veras Corner” in der deutschen Bibliothek von LingQ, Folge #042, Raubt Schule die Freude am Englisch lernen?:

Wie habt Ihr den Sprachenunterricht in der Schule empfunden? Hattet Ihr ähnliche oder vielleicht ganz andere Erlebnisse?

Nachdem ich Deinen Beitrag angehört habe, kann ich sagen, dass da schon etwas dran ist. Die Situation in Schulen ist wirklich nicht ideal für das Sprachenlernen und dass das praktisch in den meisten Ländern so oder so ähnlich abläuft, hat wohl eine gemeinsame Ursache. Als Englischlehrer kenne ich die Probleme, die aus dem Schulsystem herrühren.

Ich unterrichte zwar 14-19-Jährige an einer kaufmännischen Schule (business college), wo es um berufsrelevante Englischkenntnisse geht, aber die ersten zwei Jahre beschäftige ich mich vor allem mit dem Vermitteln und Nachholen von Grundkenntnissen der Grammatik und dem Ausbau des Grundwortschatzes, bin also auch einer, der in der schulischen Situation Tests und Prüfungen durchführen muss.

Der frühe Englischunterricht in der Grundschule ist meiner Meinung nach fast wertlos, mangels entsprechender Ausbildung und entsprechender zeitlicher Rahmenbedingungen. Sicher gibt es viele engagierte Grundschullehrer, die auch gut Englisch können, aber die Anzahl der Stunden und die Möglichkeiten sind doch überwiegend beschränkt. Vielleich ist es auch der Lehrplan, der die Lehrer zwingt, auf natürliche Weise Englisch zu vermitteln.

Im Anfängerunterricht der Sekundarstufe 1 (in Österreich Hauptschule und Gymnasium-Unterstufe) wird sicher vieles unterrichtet und gefördert, aber überwiegend auf die Weise, die Du in Deinem Beitrag beschreibst: mit Drill, Zwang, schlechten Noten und oftmals schlechten Ergebnissen. Ich sehe große Unterschiede zwischen den Schulen, von denen Schüler zu uns kommen. Von der Unfähigkeit, eine Frage oder Verneinung im Präsens zu bilden, einem sehr spärlichen Vokabular - kaum ein A2-Niveau nach 4 Jahren! - bis zu kommunikativ und auch grammatisch sehr fortgeschrittenen Englischkenntnissen spannt sich ein weiter Bogen. Schüler, deren Muttersprache nicht Deutsch ist, haben sowohl mit Deutsch als Zweitsprache als auch mit Englisch zu kämpfen, von der zweiten Fremdsprache Französisch oder Spanisch gar nicht zu reden.

Die Situation ist für Lehrer und Schüler äußerst unbefriedigend. Drei Wochenstunden, in einem Jahr sogar nur zwei, also 14 Wochenstunden in fünf Jahren, sollten doch genug sein um in Englisch ein gutes B2-NIveau und in der zweiten Fremdsprache B1 erreichen zu lassen. Warum nicht mehr? Schon das Erreichen dieses Zielniveaus (bis zum Abitur, österreichisch bis zur Reifeprüfung) ist unter den gegebenen Rahmenbedingungen fraglich. Die Schüler sind es gewohnt benotet zu werden, sie haben Vermeidungsstrategien entwickelt, verlieren das Interesse, sich selbständig mit den Fremdsprachen zu beschäftigen und lernen nur für Prüfungen. Eine Konditionierung, die schon früh beginnt, setzt sich immer weiter fort. Versuche, mit LingQ-Methoden zu arbeiten verlaufen selbst bei Schülern, die (ab dem 3. Jahr) Laptops in den Klassen benützen und Internetzugang haben im Sand.

Das Hauptproblem ist die Einstellung, der Lehrer müsse den Schülern etwas beibringen. “Das haben wir nicht gelernt” ist eine immer wiederkehrende Phrase bei Lehrerwechseln. Es ist eine Verkettung von Lehrplan (Stoff und Prüfungen und Beurteilungskriterien), Stundenplan, Konkurrenz von verschiedenen Fachgruppen unter den Lehrern, zusammen mit einem ausufernden Programm an Exkursionen, Vorträgen etc. etc., die den Schülern die Lust am Lernen vergällen. Auch Lehrer sind unter diesen Bedingungen frustriert.

Ich kann hier nur einige Probleme anreißen, und es gibt noch mehr, würde mich aber auch über Ideen, Erlebnisberichte und Anregungen freuen. Abschließend kann ich trotz allem sagen, dass die Schule mir nicht die Lust am Sprachenlernen verdorben hat (ich hatte Englisch, Latein und Französisch im Gymnasium).

Das ist aber interessant was Du da schreibst Reinhard. Der frühe Englischunterricht in der Grundschule ist Deiner Meinung nach wertlos. Hier in Spanien wird Englisch nun schon an Sechsjährigen unterrichtet. Es herrscht hier so eine Art Panik, was diese Sprache angeht. Es wird einerseits als unheimlich wichtig eingestuft, um später eine gute Arbeit zu finden und anderseits merke ich manchmal, dass die Eltern auch ein bisschen damit ­angeben wenn sie sagen können ihr Sohn oder Tochter habe schon so und so viele Englischkenntnisse. Es werden sogar zweisprachige Kleinkindergärten angeboten. Ich bin da doch ein bisschen vorsichtiger. Auch ich zweifle an der Effektivität des frühen Englischunterrichts, falls nebenbei im familiären Umfeld nicht doch auch Englisch gesprochen wird. Ich persönlich habe in der obligatorischen Schulzeit überhaupt nicht am Englischunterricht teilgenommen. Und das lag weder an den Lehrern noch an der Methode. Es lag ganz einfach an mir: Sport, Musik, Freunde, TV und viele andere Sachen waren halt viel interessanter als das Present Perfect oder die -ing Form.

Ich gebe zu, dass ein früher Englischunterricht schon etwas bringen kann, wenn er spielerisch, aber auch intensiv genug von qualifizierten Lehrkräften gehalten wird. Meine Erfahrungen beschränken sich auf die Zeit als meine Tochter in der Grundschule war (3. und 4. Klasse). Die Aussprache der Lehrkräfte ließ viel zu wünschen übrig und die paar Vokabeln hätte sie auch im 1. Jahr des Gymnasiums (5. Schulstufe) gelernt.
Von Bekannten weiß ich, dass auch in Kindergärten schon mit 1 Englischstunde pro Woche begonnen wird. Den Kindern gefällt es ja, aber was nützt es, wenn sie ein paar Farben, Zahlen, Tiere usw. benennen können, sich vorstellen und ein paar Lieder singen. Zu Hause können nicht alle Eltern unterstützend wirken - je besser sie selbst Englisch können, desto mehr können sie vielleicht die Kinder anregen. Bleibt immer noch die Frage der Bezugsperson. Kleinkinder lehnen es oft ab, in einer Fremdsprache zu antworten, auch wenn sie verstehen, worum es geht, wenn die Bezugspersonen nicht von Anfang an mit dem Kind oder untereinander auch die Fremdsprache verwendet haben. Ich habe das mit meiner Tochter erlebt, mit der ich Französisch sprechen wollte.
Die Bedeutung des Englischunterrichts im Kindergarten für die beruflichen Chancen finde ich äußerst gering; abgesehen von einer positiven Einstellung zur Fremdsprache, die sie auch in der Musik hören. Viel vom Enthusiasmus in diesen frühen Jahren wird durch spätere negative Erlebnisse vernichtet.

Herzlichen Dank Euch Beiden für Eure Meinungen. Es ist interessant, dass sich Reinhards Beobachtungen doch sehr mit meinen decken, obwohl ich in Deutschland und er in Österreich lebt. Ich weiß nicht, ob Sechsjährige wirklich Spaß am Englisch lernen haben. Auch wenn man es sehr spielerisch macht. Und wenn es zu verspielt wird, kommt im Verhältnis nicht viel dabei heraus.

Dazu kommt noch, dass die Grundschullehrer hier bei uns nicht darauf vorbereitet sind, Englisch zu unterrichten. Dadurch ist die Qualität doch sehr, sehr unterschiedlich. Zum Beispiel machte die Lehrerin meiner Tochter grobe Aussprachefehler. Da frage ich mich dann schon, ob das nicht eher kontraproduktiv ist. In der 5. Klasse hatte meine Tochter jetzt 5 Wochenstunden Englisch und da ist jetzt doch eine große Verbesserung gegenüber dem Schuljahresbeginn festzustellen.

Ich lerne mit ihr aber auch mehr oder weniger regelmäßig mit LingQ, einfach um den Wortschatz zu festigen.

Ich glaube, dass Schule weder die Freude raubt noch die Freude entfacht. Das Problem an Schule generell ist ja, dass sie nach einem Lehrplan vorgehen muss und viele Kinder auf einmal unterrichten muss und sich deshalb nicht immer an die momentanen Interessen der Kinder richten kann.
Ich glaube, es ist wichtig, dass die Kinder früh begreifen, dass sie nicht nur für die Schule lernen, sondern für sich selbst. Ich habe die Erfahrung mit Englisch selbst gemacht. Ich habe nie Hausaufgaben gemacht, aber ich hatte seit ich 11 war Brieffreunde im Ausland, mit denen ich auf Englisch geschrieben habe und habe dann auch recht bald angefangen, Kinderbücher auf Englisch zu lesen - freiwillig natürlich. So habe ich mein Englisch gelernt und später auch mein Französisch. Ohne praktische Anwendung bleibt das Ganze ein viel zu theoretisches Konstrukt und da haben natürlich viele Kinder nicht die Motivation, nur für den Unterricht zu lernen.
Als ich einmal für eine Woche eine Freundin aus Japan zu Besuch hatte und wir einmal meine Stiefgeschwister besucht haben, konnte ich auch sehen, wie begeistert diese waren, ihr Englisch ausprobieren zu können und wie ihnen richtig die Augen aufgingen, dass man diese Sprache ja auch außerhalb der Schule brauchen kann. Die beiden waren damals noch in der Grundschule und konnten eben nicht viel mehr als Farben und Zahlen - aber das reichte völlig aus, um mit meiner Freundin Mensch-ärgere-dich-nicht zu spielen und wenn es eben nicht reichte, konnte man ja Hände und Füße benutzen oder einen Erwachsenen nach einem Wort fragen. Aber sie fragten auch wirklich nur nach einem Wort und wollten die Sätze selber bilden! :slight_smile:

Ich denke, die Schule kann es wahrscheinlich nicht leisten, alle Schüler permanent zu motivieren. Wer nicht will, der will eben nicht. Aber wenn der Funke in den Kindern entfacht ist, macht die Schule auch nichts kaputt, denke ich. Es schadet sicher auch nichts zusätzlich zum Lesen, Briefeschreiben und Mensch-ärgere-dich-nicht-spielen auch hin und wieder was über die Grammatik zu hören.

Danke für diesen Beitrag, Vera. Ich hatte gehofft, dass 'die Schule ’ in all den Jahren etwas dazugelernt hätte! So lange Lehrer, vielleicht selber nicht mit den jüngsten Erkenntnissen über effektive Sprachlernmethoden vertraut, an den Lehrplan gefesselt sind, wird es immer wieder reine Grammatiktests geben.

Ich habe mich damals leider von der Schule knebeln lassen und es hat lange Jahre gedauert, bis ich zu LingQ kam. Es bleibt wohl tatsächlich den Schülern und ihren Familien überlassen, sich die Sprache zu erschliessen.

Entschuldigung, dass ich so spät antworte. Ich war und bin momentan sehr beschäftigt und komme kaum dazu, hier etwas zu machen. Zum Glück kann ich ja auch lernen, während ich unterwegs bin. Sonst würde mir das Sprachen lernen schon sehr fehlen.

@Fingerhut: Ich weiß nicht, ob Du die Lektion gehört oder gelesen hast, auf die ich mich hier beziehe. Ich finde den Unterricht noch nicht mal schlecht und ich glaube, die meisten Lehrer geben sich sehr viel Mühe, den Unterricht für die Kinder interessant und abwechslungsreich zu machen. Auch mein Lehrer war so und er war auch sehr nett. Sonst wäre Englisch in der Schule wohl zur Katastrophe für mich geraten. Aber dass von Anfang an sofort Grammatik und Rechtschreibung in den Tests abgeprüft wird und zwar ausschließlich, das finde ich nicht gut. Zumal im letzten Test auch durchaus einige “Fallen” dabei waren. Ich finde, das muss nicht sein.
In der 11. Klasse wurde damals bei uns die Englisch-Note in Tests auf der Basis Inhalt, Stil und Grammatik vergeben. Dabei hat Grammatik einen großen Teil der Note ausgemacht. In Inhalt und Stil war ich zum Glück gut bis sehr gut. Das zeigt, dass ich nicht nur verstanden habe, um was es ging, sondern dass ich auch ein Gefühl für die Sprache hatte, sonst wäre meine Stil-Note sicher schlechter gewesen. Aber mit der Grammatik habe ich immer gekämpft. Aber was ist wichtiger? Das ich mich verständigen kann oder dass ich gehemmt bin, weil ich Angst vor Fehlern habe?
Leider gab es damals nicht die tollen Möglichkeiten, die es heute gibt. Es gab kein Internet, noch nicht mal PCs. Es gab keine CDs mit Sprachkursen zu kaufen und für meine Eltern waren auch die damals erhältlichen Kurse auf Kassetten zu teuer. Die Kassetten im Sprachlabor waren so ausgenudelt, dass man sie kaum verstehen konnte. Ich habe dann ab und zu das Schulfernsehen genutzt, aber auch das Angebot im TV kann man nicht mit heute vergleichen. Meine Eltern konnten kein Englisch. Die Bedingungen waren damals einfach ungünstig.
Wie ich in dem Artikel schon sagte, hatte meine Tochter durchaus Lust Englisch zu lernen, zumal wir letztes Jahr in den USA waren. Aber solche Tests raubten mir früher und ihr heute leider die Lust. Und mir kommt dann die Aufgabe zu, sie wieder zu motivieren, denn um Englisch kommt sie ja nicht herum.

@Sanne: Danke auch für Deine Antwort. Ich sehe, unsere Erfahrungen decken sich.

Ich denke dass die Schule die Freude am Englisch lernen raubt, weil zu viel Eindringlichkeit um die Regeln der Grammatik zu lernen gibt es. Dann wurde Kinder diese Regeln auswendig lernen, auch wenn es keinen Kontext gibt. Der Gehirn des Kindes könnte diese abstrakte Regeln nicht richtig verstehen, darauf wurde Kinder alles vergessern.

Tut mir leid, ich weiss dass mein Deutsch sehr schlecht ist.

@Vera: Ich glaube trotzdem nicht, dass Schule die Lust an Englisch raubt. Höchstens am Fach Englisch.
An verschiedenen Schulfächern wird einem im Laufe der Schule immer wieder die Lust geraubt, aber doch deshalb nicht am Thema selbst. Auch wenn ich Deutsch jahrelang gehasst habe, habe ich deshalb nicht aufgehört, zu lesen oder Briefe zu schreiben. Auch wenn ich Englisch doof fand, habe ich auf Englisch gelesen und geschrieben. Auch wenn ich Geschichte doof fand, habe ich gern Artikel in Magazinen über Geschichte gelesen und bin gern ins Museum gegangen. Die Schule hat es nie geschafft, mir ein Hobby madig zu machen. Die Schule hat es nur geschafft, mir die Lust auf Schule zu verderben. Aber das ist ja eine andere Sache.

@Fingerhut: Das Problem war, dass ich mich schlicht und einfach für unfähig in Englisch gehalten habe und es mir deshalb dann auch keinen Spaß gemacht hat. Ursache: Der Fokus in den Tests auf Grammatik und Rechtschreibung. Und wenn man sich für unfähig hält und etwas keinen Spaß macht, lernt man einfach schlechter, wie die Lernforschung zeigt. Mir hat die Schule also schon das Interesse an Englisch geraubt und viele andere Möglichkeiten gab es zu meiner Zeit ja nicht. Wahrscheinlich kannst Du Dir nicht vorstellen, wie das war, so ohne Internet oder Büchereien in denen es englische Bücher gibt. Das gab es bei uns einfach nicht.

Ich erlebe gerade dasselbe mit meiner Tochter, die sehr neugierig auf die Sprache war und jetzt aber Englisch gar nicht mehr mag. Ich hoffe, dass sich das wieder ändert, weil sie ja nicht um Englisch herumkommen wird, aber Englisch als Hobby zu sehen, davon ist sie wirklich weit entfernt. Ich versuche jetzt, ihr Interesse wieder zu wecken und sie anzuhalten, sich mit der Sprache zu beschäftigen. Ich hoffe, mir gelingt das.

@Hinata: Dein Deutsch wird sicher bald besser werden :slight_smile: Ich konnte alles verstehen, was Du geschrieben hast und das ist die Hauptsache.