Heute bin ich durch Zufall auf einige Youtube-Videos gestoßen, in denen Wienerlieder gesungen werden. Ich selbst bin zwar kein Wiener, aber dadurch, dass meine Familie in meiner Kindheit sehr viel in Österreich gereist ist (ich stamme aus einer Schausteller- und Zirkusfamilie) und mein Großvater, mein Vater und mein ältester Bruder alle Akkordeon (in Österreich sagen wir auch Ziehharmonika) spielten bzw. spielen, sind mir diese Lieder sehr vertraut.
Die Texte sind im Dialekt geschrieben bzw. gesungen und sind vielleicht auch gerade deshalb oft ein sehr gutes Spiegelbild des tatsächlichen Lebensgefühls der Menschen. Vieles, was ich im Dialekt als warmherzig oder humorvoll empfinde, geht in der Hochsprache für mich - zumindest teilweise - verloren.
Hochdeutsch (und dabei beziehe ich mich auf die österreichische Standardvariante, da es - auch sprachwissenschaftlich anerkannt - unterschiedliche Varianten des Hochdeutschen gibt) ist für mich ein ausgezeichnetes Kommunikationsmittel, aber so “richtig warm ums Herz” wird mir erst, wenn ich im Dialekt spreche.
Ich spreche zwar nicht den lokalen Dialekt, sondern vielmehr eine Mischung aus Dialekten, die sich durch den Umstand ergibt, dass ich viel Zeit in unterschiedlichsten Gegenden verbracht habe (unter anderem als so genannter “reisender Schüler”, der alle zwei bis drei Wochen in einer anderen Schule war, weil meine Familie von Ort zu Ort reiste) und fast jeder aus meiner Familie in einer anderen Region Österreichs geboren wurde, aber wenn es sozusagen ans “Eingemachte” geht (wenn es also um entscheidende, persönliche Dinge geht), dann ist mir der Dialekt viel näher als das Hochdeutsche.
Viele der Lieder, die ich heute auf Youtube gehört habe, erinnern mich auch an meinen Großvater. Ich werde wohl heute Abend noch zu meinem Vater gehen und mit ihm ein paar dieser Lieder singen - das Spielen auf der Harmonika überlasse ich lieber ihm.
Für Deutschlernende mag der folgende Text rein sprachlich betrachtet nicht so nützlich sein, aber wer Sprachen lernt, sollte sich auch immer zumindest ein wenig um ein besseres Verständnis der Kultur eines Landes bemühen und im Falle von Österreich gehören für mich solche Lieder einfach dazu. Das liegt aber wohl auch daran, dass ich diese Lieder eng mit meiner Kindheit verbinde.
Zum leichteren Verständnis übersetze ich das Lied ins Hochdeutsche. An sich wird das Lied von Männern gesungen, aber die Version auf Youtube wird von einer Frau gesungen. Ihre Interpretation des Liedes gefällt mir jedenfalls sehr gut. Es gibt noch eine Reihe anderer Lieder, die mir die Ausdruckskraft des Dialekts immer wieder vor Augen führen. “Stellt’s meine Ross in Stoi” (Stellt meine Rösser/Pferde in den Stall) ist ein weiteres dieser Lieder.
Ich weiß natürlich nicht, wie nützlich solche Lieder für Deutschlernende hier bei lingq sind, aber zumindest verschaffen sie einen kleinen Einblick in die “österreichische Seele”.
Das ist der Link zur youtube-Site: Maly Nagl - Mei Alte sauft so viel wia i - YouTube
Hier der Liedtext im Dialekt (wobei es für den Dialekt keine genau festgelegte Schreibweise gibt). “Schprinzerl” ist übrigens ein Eigenname. Ich habe ihn so noch nie gehört, aber er zeigt, wie sehr wir im Österreichischen zu Verkleinerungen (auch bei Namen) neigen. “-zerl” am Ende eines Wortes deutet oft ein Diminutiv an (Zuckerl, Pickerl, Futzerl usw.):
Herr Schprinzerl sogt zu seinem Freind:
“Verändert san die Leit,
die Ehe is nicht mehr modern,
ka Mensch vertrogt sich heit.
I und mei Alte,
wia versteh’n uns wirklich wunderbor,
mia leben ois wia die Täuberl
schon seit zirka dreißig Johrn.
Die Leit zerbrechen sich den Kopf,
und keiner kaunn’s erklär’n,
doch dos Geheimnis uns’res Glücks,
dos kaunn a jeder hör’n:”
Refrain:
Mei Alte sauft so viel wia i,
darum die große Sympathie,
doch hob’n wir beide ein System,
dos is vernünftig und sehr bequem.
Hob i an Rausch ois wie a Haus,
nimmt’s mi beim Krog’n und schleppt mi z’Haus
dos nächste Mol is’s wieda umgekehrt,
i schlepp mei Alte ham,
so wia sich’s g’hert.
Mei Hausarzt schimpft mi unlängst z’samm,
er meint i trink zu vül.
“Gesundheit, Schprinzerl, is ein Schatz,
den setzen Sie aufs Spül.
Nicht woahr, Sie geben mir doch recht”,
frogt er mei Weiberl dann,
doch die bleibt stumm ois wia a Fisch,
weil sie nix sogen kann.
“Herr Doktor bitt schen san’s net bes,
dass schweigsam bleibt ihr Mund”,
die Frogerei mocht sie nervös,
und dos, dos hot sein Grund:
Refrain:
Mei Alte sauft so viel wia i,
darum die große Sympathie,
doch hob’n wir beide ein System,
dos is vernünftig und sehr bequem.
Hab i an Rausch als wie a Haus,
nimmt’s mi beim Krog’n und schleppt mi z’Haus
dos nächste Mol is’s wieda umgekehrt,
i schlepp mei Alte ham,
so wia sich’s g’hert.
HOCHDEUTSCH:
Herr Sprinzerl sagt zu seinem Freund:
"Verändert sind die Leute,
die Ehe ist nicht mehr modern,
kein Mensch verträgt sich heute.
Ich und meine Frau,
wir verstehen uns wirklich wunderbar,
wir leben so wie die Täubchen
(= das ist eine Anspielung auf “Turteltäubchen” bzw. jung Verliebte)
schon seit zirka dreißig Jahren.
Die Leute zerbrechen sich den Kopf,
und keiner kann es erklären,
doch das Geheimnis unseres Glücks,
das kann ein jeder hören:
Refrain:
Meine Frau trinkt so viel wie ich,
darum die große Sympathie.
Doch haben wir beide ein System,
das ist vernünftig und sehr bequem.
Habe ich einen Rausch wie ein Haus
(= das heißt soviel wie “völlig betrunken sein”),
nimmt sie mich beim Kragen und schleppt mich nach Hause,
das nächste Mal ist es wieder umgekehrt:
Ich schleppe meine Frau nach Hause,
so wie es sich gehört.
Mein Hausarzt hat mich unlängst gescholten,
er meint, ich trinke zu viel.
“Gesundheit, Schprinzerl, ist ein Schatz,
den setzen Sie aufs Spiel.
Nicht wahr, Sie geben mir doch recht?”,
fragt er danach meine Frau.
Doch die bleibt stumm wie ein Fisch,
weil sie nichts sagen kann.
"Herr Doktor, bitte seien Sie nicht böse,
dass schweigsam bleibt ihr Mund.
Die Fragerei macht sie nervös
und das hat seinen Grund.
Refrain:
Meine Frau trinkt so viel wie ich,
darum die große Sympathie.
Doch haben wir beide ein System,
das ist vernünftig und sehr bequem.
Habe ich einen Rausch wie ein Haus
(= das heißt soviel wie “völlig betrunken sein”),
nimmt sie mich beim Kragen und schleppt mich nach Hause,
das nächste Mal ist es wieder umgekehrt:
Ich schleppe meine Frau nach Hause,
so wie es sich gehört.
Und jetzt viel Spaß beim Zuhören Insbesondere Wienerlieder sind im Übrigen immer mit einer Prise Humor zu nehmen. Das macht den Wiener bzw. österreichischen “Schmäh” aus (Schmäh hat je nach Kontext etwas unterschiedliche Bedeutungen, hier bedeutet es in etwa soviel wie “Humor”).